Warum mich die neuen NRW-Unterrichtszahlen nicht überraschen – ein Blick aus dem Lehrerzimme

Es gibt Nachrichten, die einen kalt erwischen – und dann gibt es Nachrichten, die einfach nur bestätigen, was man seit Jahren täglich erlebt. Die aktuellen Unterrichtszahlen aus NRW gehören eindeutig zur zweiten Kategorie. „4,8 Prozent Unterrichtsausfall“, „10 Prozent Vertretungsunterricht“ – das klingt sachlich, nüchtern, statistisch. Für uns im Schulalltag sind diese Zahlen hingegen ein ziemlich realistischer Spiegel des täglichen Improvisationstheaters, das wir seit Langem spielen.

Wenn man den Artikel liest, wirkt vieles so, als sei es ein überraschender Befund – aber für niemanden im Lehrerzimmer ist das der Fall. Denn Unterrichtsausfall ist nicht das Ergebnis von Pech oder schlechter Organisation. Er ist eine Folge des gleichen Problems, das wir seit Jahren benennen: Wir sind zu wenige. Punkt.

Der Personalstapel brennt – und wir löschen mit Kaffeebechern

In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen höre ich immer wieder dasselbe: „Heute wieder drei Vertretungen“, „Ich hab Mathe vertreten, obwohl ich eigentlich Kunst mache“, „Zwei Kolleginnen krank, Referendarin fällt aus, ich springe rein.“ Wir lösen das irgendwie, weil wir es immer lösen – aber nachhaltig ist etwas anderes.

Wenn dann eine Statistik veröffentlicht wird, die sagt: „Achtung, Unterricht fällt aus, wenn Personal fehlt“, dann kann ich nur müde lächeln. Das ist, als würde man feststellen: „Wasser ist nass.“

Vertretungen: Die Kunst der pädagogischen Feuerwehr

10 Prozent Vertretungsunterricht klingt vielleicht wenig, aber für uns bedeutet es: jeden Tag neu planen, improvisieren, umdenken. Nicht selten opfert man seine Freistunden – die eigentlich für Korrekturen, Vorbereitungen oder schlicht Durchatmen gedacht sind.

Und fachfremde Einsätze? Die sind inzwischen Standard. Manchmal frage ich mich, wie viele Stunden Schülerinnen und Schüler in meinem Fach hatten – und wie viele sie tatsächlich von einer Lehrkraft unterrichtet wurden, die darin ausgebildet ist.

Eigenverantwortliches Lernen ist kein Ersatz für Lehrkräfte

Im Artikel wird erwähnt, dass ein Teil des Unterrichts als „eigenverantwortliches Lernen“ läuft. Versteht mich nicht falsch: Das ist ein guter Ansatz, pädagogisch sinnvoll und wichtig. Aber es wird problematisch, wenn es als Lückenfüller dient – als Notlösung, weil wieder jemand fehlt.

Das eigentliche Problem: Wir verwalten den Mangel

Es geht nicht darum, Schuldige zu finden. Niemand im System möchte diese Situation. Aber die Wahrheit ist: Wir drehen uns seit Jahren im Kreis. Jede neue Statistik zeigt die gleiche Tendenz. Jedes Mal lautet die Botschaft: „Wir beobachten die Lage.“ Und wir? Wir arbeiten weiter, halten den Laden am Laufen, und hoffen, dass nicht noch eine Kollegin ausfällt – denn oft hängt der gesamte Stundenplan an einem seidenen Faden.

Mein Fazit

Der Artikel zeigt nichts Neues – aber er zeigt endlich offen, was wir im Schulalltag längst erleben. Unterrichtsausfall passiert nicht, weil wir es nicht besser organisieren. Er passiert, weil das System dauerhaft unterbesetzt ist. Und solange sich daran nichts ändert, werden Statistiken weiter hübsch Zahlen liefern, während wir im Lehrerzimmer versuchen, aus acht Eiern ein Omelett für eine ganze Schule zu kochen.

Ich wünsche mir, dass die öffentliche Diskussion irgendwann an dem Punkt ankommt, an dem wir Lehrkräfte schon lange stehen: Nicht überrascht sein – sondern handeln.

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